Mir ist ein Superstar begegnet. Einer dieser ganz besonderen Menschen, die man nur ganz selten trifft. Ein Superstar des Lebens. Mein Superstar ist Zugchefin. Wir sind uns im Intercity begegnet.
Eigentlich sollte es nur mal kurz von Lennestadt nach Bremen gehen. Die Bimmelbahn nach Hagen wird aufgehalten. „Wegen Vollidioten auf den Gleisen“, so der Zugführer. Der IC 2022 ab Hagen wird wohl weg sein. Planmäßige Abfahrt ist 19:00 Uhr.
Zur Überraschung lässt der aber noch auf sich warten. Aufgehalten wegen eines herrenlosen Koffers in Bonn, wie einige Fahrgäste später berichten. Und es zieht sich weiter. Allein bis Dortmund dauert meine Fahrt schon knapp zwei Stunden. Geschenkt. Die Zugchefin fegt durchs Großraumabteil:
Keine Sorge, liebe Fahrgäste, ich bin gleich bei Ihnen. Ich kümmer mich um sie! Ich habe Zeit, wahrscheinlich bekommen alle noch ihre Anschlüsse.
Es kommt anders. Oberleitungsschaden zwischen Münster und Osnabrück. Wahrscheinlich muss der Zug umgeleitet werden.
Bitte haben sie etwas Geduld, der Lokführer bekommt gleich neue Fahrpläne. Ich tue alles, damit wir eine Lösung für sie finden. Einige von ihnen steigen wahrscheinlich am besten hier aus. Wir haben aber noch Zeit. Ich sage ihnen rechtzeitig Bescheid.
Nach einer Weile wird klar, dass der Zug über Hannover umgeleitet wird. Münster, Osnabrück und Bremen werden nicht angefahren. Reisenden nach Münster und Osnabrück wird empfohlen, auszusteigen. Die Zugchefin nennt ihnen alternative Verbindungen per Lautsprecherdurchsage. Jetzt geht sie in den Krisenmodus. Klare Ansage an alle Fahrgäste:
Meine Damen und Herren, zwischen Münster und Osnabrück ist die Oberleitung weg. der Zugführer bekommt gleich alternative Fahrpläne. Ich helfe Ihnen dadurch. Bahnhof für Bahnhof. Ich weiß nicht, wie schnell wir da durchkommen und das ist für sie alle sehr ärgerlich. Ich verstehe wenn sie jetzt wütend sind und wenn sie Angst haben, dass sie nicht mehr nach hause kommen. Ich schätze mal, dass wir gegen 22:30 Uhr in Hannover sind. Wir finden für alle eine Lösung. Ich kümmere mich um Sie!
Erstaunlicherweise ist es im Zug ganz ruhig. Niemand scheint wütend. Mit Galgenhumor hält die Zugchefin die Leute bei Laune. Ein Signal ertönt.
Liebe Fahrgäste, machen sie sich keine Sorgen. Das war nur ein Signal für den Lokführer. Es ist nicht schon wieder etwas passiert. Wenn etwas passiert, sage ich ihnen Bescheid.
Immer öfter verfällt sie jetzt in diesen charmant-schnodderigen Tonfall, der an Yvonne Willicks erinnert. Und immer wieder gibt sie klare Ansagen:
Liebe Fahrgäste, wir haben in diesem Bahnhof nochmal einen längeren Aufenthalt. Gehen sie sich die Beine vertreten oder rauchen sie sich eine. Wir lassen niemanden zurück. Sie brauchen keine Angst zu haben. Bevor wir losfahren pfeife ich – und ich pfeife laut!
Oder:
Meine Damen und Herren, wir haben gleich Wasser für sie. Wir müssen es nur noch aus der Klimaanlage ablaufen lassen. Nein, kleiner Scherz, sie können sich Wasser bei uns am Serviceabteil holen. Es ist kostenlos. Wir haben auch noch jede Menge Bier. Das bekommen sie im Speisewagen. Da will der Kollege aber ein bisschen Geld für haben.
Der Zug bahnt sich mühsam seinen Weg. Auf der Ausweichstrecke kann er nicht schneller als 100 km/h fahren. Gleichzeitig versinkt Hamburg im Chaos der G20 Krawalle. Bahnhof für Bahnhof zeigt die Zugchefin allen Reisenden ihre Optionen auf. Irgendwann kommt die Ansage per Lautsprecher:
Meine Damen und Herren, es werden heute Nacht nicht mehr alle nach hause kommen. Die Reisenden nach Rostock und Schleswig werden es nicht mehr schaffen. Wir finden eine Lösung für sie. Steigen Sie in Hannover aus und sprechen sie die Kollegen im Service an. Die können ihnen jetzt noch helfen. Es ist wirklich das Beste, die Reise in Hannover zu unterbrechen und morgen weiterzufahren. Wir finden eine Lösung für sie, machen sie sich keine Sorgen. Fahren sie nicht nach Hamburg! In Hamburg kann ihnen niemand mehr helfen. Die haben da gerade richtig Probleme da, gucken sie mal in die Nachrichten. Es gibt auch keine Hotelzimmer mehr in Hamburg.
Und noch eine Ansage, per Lautsprecher:
Die Reisenden nach Bremen werden alle noch nach hause kommen, aber es wird noch dauern. Wir werden noch später in Hannover ankommen, sie werden wahrscheinlich erst die Regionalbahn um 23:22 Uhr nehmen können. Ich verstehe, wenn sie wütend sind. Wir machen alles möglich, was in unserer Macht steht. Die Dame, die nach Quakenbrück will: Sie werden es heute nicht mehr schaffen. Sprechen sie die Kollegen am Service in Bremen an. Die wissen Bescheid. Die kümmern sich um sie.
Um 22:30 Uhr erreicht der Zug Hannover. Eigentlich hätte er vor 1,5 Stunden in Bremen sein sollen. Die Stimmung ist gut, die Fahrgäste scherzen. Das Servicepersonal ist ruhig und beantwortet geduldig alle Fragen. Kurz vor Hannover teilt es die Fahrgastrechte-Formulare aus. Alle vertrauen der Zugchefin und ihrem Team. Die Frau ist ein Superstar!
Um 00:49 Uhr komme ich in Bremen an. Planmäßig wäre 21:20 Uhr gewesen. Eine kleine Verspätung. Geschenkt. Es war eine erlebnisreiche und unterhaltsame Reise. Anderswo bezahlt man für so viel Unterhaltung Eintritt. Hier bekommt man auch noch die Hälfte des Fahrpreises erstattet. Ich feier die Zugchefin, den Lokführer und das ganze Team!