Die freundliche Einladung eines geschätzten Geschäftspartners führte den Medienkanzler samt Begleitung zum ersten Mal in beider Leben zu den Elbershallen in Hagen. Das Kreativ- und Dienstleistungszentrum scheint so ein bisschen wie eine Miniaturausgabe der Hackeschen Höfe in Berlin. Und Hagen, so habe ich mir ja sagen lassen, ist wie Berlin auch arm – und an dieser Stelle auch ein bisschen sexy…
Der Grund für die Reise in die westfälische Metropole war das erste internationale Jazz Festival auf dem Hagener Elbers Gelände „Jazz auf Elbers“. Die Erwartungshaltung: Hmmm…. Fünf Locations, zwei Handvoll Künstler und Bands in ein paar alten Industriehallen. Künstlerisch scheinbar ein Spektrum von Musikschule (da geht man ja gern artig hin und gibt artig Applaus) bis hin fast zu Sonic Ballroom. Also irgendwie indifferent. Aber eben auch sehr vielfältig.

Dann die erste Überraschung: Man, hat diese Musikschule Hagen es drauf! Der „Karneval der Tiere“ in einer ganz eigenen Adaption, jazzig, witzig, toll moderiert, vielfältig und alles andere als artig. Eine durch und durch gelungene Darbietung. Der urspüngliche Plan, noch vor Ende die Location für einen anderen Act zu wechseln, wird verworfen. Das wollen wir zu Ende hören.
Jetzt schnell zum Gebäude Quamboni. Dort spielt gerade das Alvaro Severino Trio aus Chile. Gitarre, Bass Schlagzeug. Technisch anspruchsvoll. Elektrisierend für die Ohren. Herrliche Klänge, rhythmisch, dreckig, technisch ausgefeilt. Leider ist schon bald Schluss hier, aber für ein erstes Kennenlernen reicht’s.
Jede Menge Musik vom Buffet
Auf geht es zum Feuervogel 2.0. Nein, das ist kein digital-surreales Strawinski-Ballett sondern ein Restaurant mit Marktplatz-Flair und ausreichend Raum für Live-Acts. Die im klassisch-modernen Stil angelegte Industriehalle ist großzügig geschnitten, so dass man den Musikern ganz nah sein kann und gleichzeitig viel Raum für sich hat. Relaxte Atmosphäre und freundliche Bedienungen. Was will man mehr? Und dann dieser Typ auf der Bühne. Alexander Santos aus Brasilien. Hält eine Konzertgitarre mit abgeklebtem Schalloch in der Hand, der er die wunderlichsten Klänge entlockt. Sonst nur vom Schlagzeug begleitet, zaubert er gemeinsam mit Drummer Leonardo Barbosa kreolische Sounds, unerwartete Grooves, flamencoartige Sequenzen, gepaart mit latinomäßigen Rhythmen. Interpretiert auf seine ganz eigene, unnachahmliche Weise weltkulturerbeverdächtige Songs wie Bob Marley’s „Three Little Birds“ oder das zeitlose „Mas que nada“. Rollt dabei verzückt mit den Augen. Sicher nicht nur was für Jazz-Freunde. Wer ganz allgemein auf gute Musik und schräge Typen steht, kommt hier auf seine Kosten.

Danach Gesangsakrobatik mit JD Walter aus New York und dem New Zentropezen Jazz Quartett aus Russland. Ganz andere Klänge, ganz andere Atmosphäre. Location ist der Konzertsaal der Musikschule Hagen. Gehaltvoll, stilvoll, kunstvoll, technisch höchst anspruchsvoll – aber nie langweilig. Ein Piano zwischen Dave Brubbeck und Sergej Rachmaninov. Ein Bassmann, der Magie auf sechs Seiten abliefert. Ein liebenswerter, viel zu bescheiden wirkender Freak am Sopran-Saxophon und ein Drummer, der sein Handwerk versteht. Wundervoll unterhaltsam moderiert von einem begnadeten Sänger, dem es neben der Musik offenbar vor allem die Frauen angetan haben. Gerade für eingefleischte Jazz-Liebhaber ein absolutes Highlight.
Beim Flanieren zwischen den verschiedenen Hallen entsteht ein angenehmer Flow. Das Gelände wird immer vertrauter, man trifft immer wieder auf Gesichter, die einem zunehmend bekannt vorkommen. Ein Hauch von Familientreffen in Wohlfühl-Umgebung.
Danach geht es ins Theater an der Volme. Einladend, behaglich, gemütlich. Uns erwarten Andi Kissenbeck und sein Club Boogalooh. Am Saxophon Peter Weniger, der schon mit Größen wie Paul Kuhn und Lionel Richie gespielt und bei Japser van’t Hofs großartigen Pili Pili mitgewirkt hat. Die Besetzung ohne Bass und trotzdem sehr funky. Andi Kissenbecks röhrende Hammond-Orgel, das präzise Schlagzeug und virtuos-peitschende Gitarrenklänge heizen den Gästen ein. Wundervoll.
Überzeugendes Konzept
Das Veranstaltungskonzept überzeugt. Fünf Locations, meist mit zwei Bands die abwechselnd für zwei mal eine dreiviertel Stunde spielen. Ein üppiges musikalisches Buffet, von dem man sich eine Reihe von Leckerbissen herausgreift. Beim Schlendern von Location zu Location bekommt man ein Gefühl für das liebenswerte Biotop „auf Elbers“. Wie es so ist am Buffet – man kann nicht alles probieren. Einige sicher ebenfalls hörens- und sehenswerte Musikereignisse bleiben ungesehen und ungehört. Dafür bekommt man das gute Gefühl, aus dem Vollen zu schöpfen und die Wahl zu haben. Dem Medienkanzler gefällt’s.

Zum Schluss geht es noch einmal in das etwas abgelegene Gebäude Quamboini. Nochmal soll hier ein Trio aufspielen, wieder in der Besetzung Gitarre, Bass Schlagzeug. Jungs aus dem Ruhrgebiet, gleich um die Ecke: Jochen Schrumpf’s Electric Groove. Der Typ hat schon mit dem legendären Trilok Gurtu gespielt. Bis jetzt haben nur ein paar Versprengte ihren Weg in die Halle gefunden. Auf der Bühne hängen zwei schräge Vögel rum – sind das Techniker? Oder Musiker? Keine Ahnung. Eigentlich sollte es gleich losgehen. Aber irgendwie scheint die Band noch nicht da zu sein. „Hat jemand unseren dritten Mann gesehen?“ fragt jemand, der zwar schon mehr als die Hälfte seiner Haare gelassen hat, dem Rest aber umso mehr Raum für Wachstum bietet. „Ach, fangen wir einfach an“. Die beiden hängen sich Gitarre und Bass um und legen los.
Was folgt elektrisiert vom ersten Moment an. Satte, wirklich groovende Gitarrenklänge und ein technisch ausgefeilter Bass, der teilweise an Stanley Clarke in seinen besten Zeiten erinnert. Bald findet sich auch ein schmaler kahl rasierter Typ ein, setzt sich ans Schlagzeug und legt los. Wow. Der Eindruck: Drei exzellente Musiker, mit allen Wassern gewaschen, die einfach hier sind um Spaß zu haben. Das zugegebenermaßen viel zu kleine Publikum tobt, zappelt und hat ebenfalls Spaß. „Wer das nächste Stück kennt, kriegt eine CD geschenkt. Aber nur die, wo das nicht drauf ist, damit er sich auch noch die andere kauft.“ Es ist eine grandiose Instrumental-Version der guten alten Stones-Nummer „Miss you“. Kreischend, dreckig, krachig groovy interpretiert, so dass wohl selbst Bill Wymann und Keith Richards ihre Freude hätten – und vielleicht noch was dazulernen könnten. Die Dame, die das Rätsel gelöst hat, nimmt ihre CD in Empfang und wünscht sich gleich noch was von Pink Floyd. Es folgt ein wummernd wimmernder Bass mit elektrisch-psychedelischen Gitarrenklängen vom Feinsten. Auch dieser Act ist eindeutig nicht nur was für für Jazz Fans.
„Also mir macht das wahnsinnig Spaß. Ich weiß nicht ob es an Euch liegt oder an der Band. Oder an beidem“ – mit solchen Sprüchen hält der voll unter Meditonsin stehende Schrumpf sein Publikum bei Laune, während er das Taschentuch zückt. Und den Spaß merkt man den Dreien an. „Spielen wir nen Blues. Sonst spielen wir immer in „A“, jetzt mal in „B“. Heute ist Jatzz. Oh, man, da muss ich mich konzentrieren“. Es folgt noch so mancher Blues in A, B oder worin auch immer. Immer mehr Leute kommen herein und auch wenn es immer noch keine Massen sind, die Halle tobt. „Ich sehe Euch, Ihr seid nur 20, aber Ihr hört Euch an wie 40.“
Irgendwann heißt es: „Kann mal jemand für uns ins Programmheft gucken wie lange wir noch spielen dürfen?“ Fünf Minuten. „Fünf Minuten ist nichts!“. Und dann wird es auch noch länger. Als erste Truppe an diesem Abend lassen die drei sich eine Zugabe rausleiern. Und der Veranstalter, der schon im Raum ist, scheint nichts dagegen zu haben.
Musikalisch gesehen war der Abend für den durchaus verwöhnten Medienkanzler einer der besten der letzten Jahre. Und er hätte gern mehr davon. Er ist sich sicher: Das wird sich rumsprechen. Und hofft auf eine Fortsetzung von „Jazz auf Elbers“. Denn das Festival hat das Zeug, „Kult“ zu werden.
Lied wohl an der Band 🙂