Beim mittäglichen Streifzug durch Attendorn zeigt sich ein unbebautes Grundstück in der Bleichergasse. Es ist klein, nur ein Stück Rasen und ein paar Baumstümpfe. Der leere Pfosten eines Verkehrsschilds wirkt fehl am Platz. Was hat er dort verloren? An drei Seiten angrenzend Häuser. Schützen sich jeweils durch einen Holzzaun. Drei kleinere Findlinge an der Grenze zur kopfsteinbepflasterten Straße. Warum wurde hier nicht längst gebaut?
Es ist unwirklich still. Schon hundertmal muss ich hier vorbeigegangen sein. Doch zum ersten Mal zeigen sich auf dem regennassen Pflaster zwei Stolpersteine, leicht bedeckt von Laub und Zweigen. Hier wohnten Helene Hildegard Taitel und Lothar Guthmann. Beide wurden deportiert und ermordet. Zwei Namen. Zwei Menschenleben. Zwei Lebensgeschichten. Zwei Leidenswege. Stellvertretend für Millionen.

Hitze steigt auf. Es ist als wolle der Orte seine Geschichte erzählen. Tag der Deportation. Tritte schwerer Stiefel. Rufe: „Aufmachen!“ Angst. Hilflosigkeit. Verzweiflung. Demütigung. Schnell noch ein paar Sachen packen. Wozu? Letzte verzweifelte Versuche, sich angesichts der dunkel absurden, übermächtigen Bedrohung an etwas Alltägliches zu klammern.
Zwei Menschenleben, die unsere Vorfahren ausgelöscht haben. Zwei Würfel aus Messing, die bis heute ihre Namen kennen. Ihre Peiniger, ihre Schlächter sind vergessen. Untergegangen in der dunklen Flut, aus der wir aufgetaucht sind.
Ist es Fügung, dass der gerade heutige Toraabschnitt zum Schabatt „Schemot“ heißt – Namen? So erklärt es jedenfalls Rabbinerin Elisa Klapheck in ihren Gedanken zum Schabbat. Im 2. Buch Mose werden demzufolge die Namen der Kinder Israels während der Zeit in Ägypten bewahrt. Und wie das Buch selbst (in der christlichen Überlieferung „Exodus“) trägt auch der erste Abschnitt den Titel „Schemot“ und beginnt mit den Namen Jakobs, Josefs und seiner Brüder.
Die Stolpersteine bewahren Namen, deren Andenken für immer ausgelöscht werden sollte. Doch es sind die Namen der Täter, der Mitläufer, der schweigenden Mehrheit, die vergessen sind. Wer will sie schon noch kennen?
Schabbat Schalom!
