Autorenlesung in Attendorn. Wieder einmal ein ganz großer Wurf von KULTURa: Martin Walser liest aus seinem jüngsten Roman „Ein sterbender Mann“ in der Erlöserkirche. Seine erste Lesung in einer Kirche, wie er sagt. Neben dem großen Mann sitzt eine bescheiden auftretende Frau. Er stellt sie als Thekla Chabbi vor, seine Co-Autorin. Mehr verrät er an dieser Stelle nicht.
Schnell zieht der Autor das Auditorium in seinen Bann. Spielerisch unterhaltsam trägt er gewichtige Sätze und schweren Stoff mit geradezu tänzerischer Leichtigkeit vor. Liest aus dem Brief des gescheiterten Geschäftsmannes und „Nebenherschreibers“ Theo Schadt, der des Lebens überdrüssig ist und dafür gute Gründe zu haben glaubt. Berichtet von dessen Exkursionen auf einem Suizidforum im Internet, bei denen er auf eine gewisse Aster trifft. Und davon, wie dieser sich von einer Tangotänzerin angezogen fühlt und ihr Briefe zu schreiben beginnt. Liest aus den Briefen vor, die Schadt im Roman zunächst nicht abschickt.
Szenenwechsel: Die stille Co-Autorin liest aus einem Brief. Eine Antwort der

Tangotänzerin. Als sie den Tango mit einem erfahrenen Tänzer aus dem tiefen Erleben der im Tanz Geführten beschreibt ist klar: Diese Zeilen kann nur eine Frau geschrieben haben. Die Autorenlesung wird ganz nebenbei zur Tanzlektion – für Männer. Frauen wissen, wovon hier die Rede ist.
Das Geheimnis der Co-Autorenschaft und der Entstehung des Romans wird in der anschließenden Diskussion dank der Fragen von Moderator Achim Gandras gelüftet: Der Autor war auf einem Deutsch-Chinesischen Austausch und berichtete dort von seiner neuen Romanfigur, die infolge schwerer Schicksalsschläge des Lebens überdrüssig ist. Noch nicht einmal einen Namen hat sie zu diesem Zeitpunkt. Am Tisch sitzt eine Sinologin.
Später erreicht den Autor eine E-Mail der Sinologin mit dem Link zu einem Suizid-Forum im Internet. Er meldet sich dort an, sammelt seine Erfahrungen und verfasst einen Brief für seine Romanfigur, die darin von einem solchen Forum berichtet. Unter anderem schreibt Theo Schadt, wie er jetzt wohl heißt, von einer Suizidantin namens Aster.
Zur Überraschung des Autors begann die Antwort nicht mit „sehr geehrter Herr Walser“. Sie war auch nicht unterschrieben mit „Thekla Chabbi“ sondern mit „Aster“. Diese geheimnisvolle Aster hat dem Roman während seines Entstehens eine unglaubliche Wendung gegeben, denn von da an entstand er als Briefwechsel in Co-Autorenschaft. Keiner der beiden Autoren redet dem anderen rein. Ein geradezu interaktiver Roman. Walser sagte: „Ich hätte auch alleine schreiben können. Aber dann wäre es ein ganz anderer Roman geworden. Allah wäre sicher nicht drin vorgekommen.“
Dank der geheimnisvollen Aster kommt jetzt nicht nur Allah drin vor. Wahrscheinlich stand es so geschrieben. Maktup.