Das Nervensystem der Globalisierung


Das World Wide Web durchzieht den Planeten. (Quelle: pixelio.de / Gerd Altmann)
Das World Wide Web durchzieht den Planeten. (Quelle: pixelio.de / Gerd Altmann)

Das Nervensystem der Globalisierung ist das Internet. Die Nervenstränge des Web durchziehen den Planeten. Unendliche Kilometer aus Kupfer und Glasfaser. Wie neuronale Netze schließen sich zahllose autonome Systeme an den zentralen Internet-Knoten zu größeren Gebilden zusammen. Die letzte Meile führt zu den Nervenenden. Dort erreichen die Informationen ihr Ziel – in der Regel die Benutzer, zunehmend aber auch autonome, intelligente Endgeräte. Und von dort werden erneut neue Informationen in das Netz eingespeist. Auch die Mobilfunknetze werden immer mehr Teil dieser Infrastruktur.

Ein globales Dorf ist ohne das Netz kaum noch denkbar. Es macht entfernte Regionen erreichbar, ermöglicht den engen Kontakt zwischen Partnern in unterschiedlichen Zeitzonen. Es transportiert Informationen in Echtzeit, und es lässt alle an diesen Informationen teilhaben.

Während Globalisierung allgemein in erster Linie als wirtschaftliches Phänomen gesehen wird, ist sie ebenso auch ein gesellschaftliches. Globalisierung und Informationsgesellschaft stehen miteinander im engen Zusammenhang. Eine globalisierte Welt ist ohne globalisierte Information nicht vorstellbar. Und das macht für viele Staaten und Regierungen den Umgang mit dem Netz so schwer. Wer den Zugang zum globalen Informationsstrom verwehrt, ist auch von der globalisierten Welt abgeschnitten. Fatal für die Wirtschaft, wie das Beispiel Ägypten gerade zeigt. Wer zu viel Informationen reinlässt, muss sich mit einer zunehmend gut informierten und sich selbst organisierenden Bevölkerung herumschlagen, die sich eine eigene Meinung leistet und diese über vielfältige Kanäle kundtun kann. Denn was macht ein Nervensystem? Es transportiert Informationen. An seinen Enden sitzen Sinne: Sie sehen, fühlen, hören, riechen und schmecken. Und das hinterlässt einen bleibenden Eindruck im Gehirn. Wenn man denen, die am System teilhaben, den Zugang zur Information zu spät versperrt, kann man ihnen ihr Wissen nicht mehr nehmen. Dann kommen sie aus ihren Häusern auf die Straßen. Und wenn der Leidensdruck groß genug ist, gehen sie nicht mehr weg. Die Ägypter sind gekommen um zu bleiben. Sie lassen sich nicht mehr entmündigen.

Weitere Regime, nicht nur in Arabien, zittern bereits. Was soll China machen? Bisher beschäftigt das Riesenreich ein Millionenheer an Zensoren, um nur die Informationen durchzulassen, die genehm sind. Doch die Machthaber können nicht alles kontrollieren. Denn in einem Nervensystem, in dem alles mit allem verknüpft ist, gibt es viele Wege. Und gerade China ist darauf angewiesen, mit den globalen Warenströmen auch an den untrennbar damit verknüpften Informationsströmen teilzuhaben. Nordkorea hat vorgemacht wie es ist, sich ihnen zu verweigern: Ein Land, das vom globalen Informationsstrom abgeschnitten ist landet – keine zwanzig Jahre nach der Erfindung des World Wide Web – fast zwangsläufig in der Steinzeit…

Es gab in Europa schon einmal eine Zeit, in der die Verbreitung von Wissen zu großen Umwälzungen führte. Die Zyklen waren damals länger. Doch die Erfindung des Buchdrucks legte die Grundlage für Reformation und Aufklärung. Und natürlich für die Zeitung. Die Idee unserer demokratischen Gesellschaft ist sicher auch ein spätes Erbe dieser Erfindung. Immanuel Kant erklärte in seinem berühmten Essay „Was ist Aufklärung?“: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Doch wer den Ausgang finden will, muss das Schild darüber lesen können. Und irgendjemand muss es erst einmal aufhängen.

Die Menschen in Ägypten, Tunesien und anderswo auf der Welt wollen offenbar nicht länger in Unmündigkeit verharren. Wie weit sie selbst verschuldet ist, sei in diesem Fall dahingestellt. Doch mit dem Zugang zum Wissen wächst der Widerstand. Die Generation Internet, so scheint es, will sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen Nirgendwo auf der Welt. Und das Wissen bahnt sich seinen Weg.

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