
Thilo Baum und Frank Eckert über ihr Buch „Sind die Medien noch zu retten?“
Zur Leipziger Buchmesse haben Thilo Baum und Frank Eckert ihr neues Buch „Sind die Medien noch zu retten?“ vorgestellt. Klingt provokant. Und genauso ist es (auch) gemeint. Dabei wollen die beiden nicht anprangern. Die gelernten Journalisten legen den Finger in die Wunde, weil ihnen das Handwerk der öffentlichen Kommunikation am Herzen liegt. Auch der Medienkanzler hat sein Exemplar frisch ausgepackt und bei den Autoren nachgefragt:
Wie seid ihr darauf gekommen, das Buch zu schreiben?
Thilo: Den ausschlaggebenden Impuls gab die Berichterstattung im Zuge der Germanwings-Katastrophe vor zwei Jahren. Wir gehen in dem Buch darauf ein. Die „Zeit“ hat damals ihre eigene Theorie gesponnen und das Ganze noch vor Bekanntwerden der Sachlage zu einem Wirtschaftsthema hingedreht. Weil Schnelligkeit und Sensation offenbar vor Sorgfalt und Recherche gingen, war eine falsche Vorverurteilung der Lufthansa das Ergebnis. Der Absturz des Malaysian-Airlines-Fluges MH17 war auch so ein Beispiel. Der „Spiegel“ hatte damals getitelt: „Stoppt Putin jetzt“. Das war reine Stimmungsmache.
Frank: Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wer wirklich hinter dem Abschuss gesteckt hat. Gesichert ist lediglich, dass es eine Rakete russischer Bauart war. Das sagt immer noch nichts über den Urheber. Zum Zeitpunkt des „Spiegel-Online“-Berichtes war alles noch völlig offen. Das hat bei uns die ersten Diskussionen ausgelöst, die am Ende zu diesem Buch geführt haben.

Thilo: Insgesamt sehen wir, dass zunehmend Meinungen die mediale Berichterstattung dominieren. Berichte sind kaum noch sachlich, sondern zunehmend suggestiv meinungsbildend. Dabei steht ein Großteil der Journalisten dem linken Lager nahe; wir haben also eine massive Tendenz nach links in der Publizistik. Im Internet dagegen, in den Blogs und Foren, finden sich häufig rechte bis rechtsextreme Positionen. Die Mitte der Gesellschaft hat kaum noch eine Stimme. Wobei es uns im Grunde ums Handwerk geht: Das journalistische Handwerk hat keine politische Richtung. Wir fänden es schön, wenn Medienleute es dem Leser überlassen würden, welche Meinung er sich bildet – anhand von Fakten im Bericht und Meinungen im Kommentar. Und damit das funktioniert, brauchen wir differenzierte Betrachtungen ohne Vorverurteilungen. Über Donald Trump zum Beispiel kann ich mir anhand der deutschen Medien kaum eine Meinung bilden – mein Gehirn muss zuerst mühsam die suggestiven Wertungen ausblenden, die Polemik und die Häme. Man kann ja gegen Trump sein, wenn man will. Aber zu glauben, die Leute seien gegen Trump, nur weil Journalisten ihnen einreden, man müsse gegen Trump sein, halte ich für ziemlich naiv.
Das Timing hätte kaum besser sein können. Lügenpresse, Flüchtlingskrise, Trump – Thematisch konntet ihr angesichts der aktuellen Ereignisse scheinbar aus dem Vollen schöpfen…
Thilo: Das stimmt. Der Stoff ist uns nicht ausgegangen. Es ist so viel passiert, das wir nicht links liegen lassen konnten. Erst der Germanwings-Absturz. Da haben wir angefangen. Dann kam die aufgeregte Debatte um Zuwanderung und offene Grenzen. Im Sommer 2016 folgte der Amoklauf in München. Im Herbst kam der Aufschrei, weil sich das das wallonische Regionalparlament gegen das Freihandelsabkommen CETA stellte – Medien nannten die Wallonen „stur“, es war von „Rettung in letzter Minute“ die Rede – lauter Tendenzvokabeln, deren Zweck eigentlich nur Manipulation sein kann. Auch die Reaktionen unserer Medien auf Trump als US-Präsident ergaben Stoff ohne Ende. Bis Weihnachten wollten wir eigentlich fertig sein – da kam dann der Anschlag in Berlin. Irgendwann mussten wir einen Schlussstrich ziehen. Aber es geht weiter. Die zweite, aktualisierte Auflage ist schon in Arbeit.
Stichwort Trump: Deutsche Journalisten aus dem Tross von Angela Merkel bei ihrem Antrittsbesuch haben in der amerikanischen Presse viel Lob für ihre mutigen Fragen bekommen. Spricht das nicht für unsere Medien?
Frank: Ja, die beiden wurden für ihren Mut gelobt. Aber weil auch sie handwerkliche Fehler gemacht haben, hatte Trump mit ihnen ein leichtes Spiel. Man muss sich schon mit den Gepflogenheiten auseinandersetzen. Bei Pressekonferenzen im Weißen Haus gilt: Eine Frage, eine Antwort. Erst dann kann gegebenenfalls eine Anschlussfrage gestellt werden. Die beiden haben gleich drei bis vier Fragen auf einmal gestellt. Der US-Präsident hat sich dann einfach das rausgepickt, was ihm gerade passte. Ihr Mut in Ehren, aber da wäre mehr drin gewesen.
Ihr legt Euch mit vielen Leuten an. Einigen seid ihr sicher ordentlich auf die Nerven gegangen. Hattet ihr schon in der Schule keine Freunde?
Thilo und Frank (lachen)
Frank: Durch Polarisierung kann man sich sogar Freunde schaffen. Man muss einander die Meinung sagen können. So gesehen galt das auch schon in der Schule.
Thilo: Freundschaft bedeutet ja nicht Konformismus. Wenn wir sehen, dass etwas falsch läuft, sagen wir das. Der Journalismus braucht dringend ernstes Feedback. Die zahlreichen Leserkommentare, die seit etwa Mitte 2016 den Medien fast nur noch ihren Tendenzjournalismus um die Ohren hauen, genügen offensichtlich nicht.

Frank: Das ist ein bisschen wie im Fußball. Die echten Fans brennen für ihren Verein. Aber gerade deshalb üben sie auch oft genug lautstarke Kritik. Eben weil ihnen die Sache so am Herzen liegt. Uns liegt der Journalismus am Herzen. Und wenn wir uns im Dienste der Sache auch mal unbeliebt machen, dann ist das eben so.
Thilo: Und es ist durchaus freundschaftlich, wenn wir Medien darauf hinweisen, dass sie an einer Unmenge von Menschen vorbeiberichten. Viele Journalisten folgen eher Skripten im Kopf, statt die Realität zu beschreiben. In vielen Journalistenköpfen herrschen Narrative wie „Arbeitnehmer sind gut, Arbeitgeber sind böse“. Ich habe in meiner Arbeit heute vor allem mit Menschen aus dem Business zu tun. Die kehren den Medien zunehmend den Rücken, weil die sich in solchen Narrativen nicht wiederfinden. Im Buch haben wir eine ganze Reihe von Beispielen für solche Skripte im Kopf. Dass Rentner nahezu immer auf einer Parkbank sitzen, ist dabei eines der harmlosen. Mein Lieblingsbeispiel ist die hohle Dramatisierung in „Spiegel Online“ zu einer Brücke in Magdeburg, in der über Jahrzehnte TNT lagerte. Es grenze an ein „kleines Wunder“, hieß es, dass die Brücke noch stehe. Unsinn. TNT ist ein Sicherheitssprengstoff, der nicht von alleine zündet. Aber so simpel sind eben oft die Weltbilder von Medienleuten. Entsprechend eindimensional betrachten viele Journalisten das Geschäftsleben.
Das Buch liest sich wie aus einem Guss. Was hattet Ihr für ein Arbeitsteilung?
Thilo: Es gab Brüche und wir finden immer noch welche. Ich habe aber zum Schluss alles sprachlich geglättet. Franks große Stärke ist die Recherche. Er hat viele einzelne Kapitel recherchiert und mir per Mail zugeschickt. Wir haben erst einmal die vielen einzelnen Fragmente zusammengesetzt und sind später mit dem Kamm drüber gegangen.
Frank: Es war echte Teamarbeit. Unsere Stärken ergänzen sich. Und in der Sache sind wir eh auf einer Linie.
Hattet ihr beim Schreiben ein Skript im Kopf?
Thilo: Ich nehme mich nicht davon aus, dass ich in einer Box denke. Rezeption ist immer selektiv. Und natürlich entsteht in so einem Prozess eine Neigung, sich an Defiziten aufzuhängen. Darum sind wir vielleicht auch manchmal etwas ungerecht. Insgesamt glaube ich aber nicht, dass unser selektiver Blick zu handwerklichen Fehlern führt, wie das bei Narrativen die Regel ist. Hin und wieder handeln Medien in einer brisanten Lage richtig, und das erwähnen wir auch. Als die Behörden infolge eines Fehlers die DNA von Uwe Böhnhardt am Fundort von Peggys Leiche gefunden hatten, drehten einige Medien durch. „Zeit Online“ ist cool geblieben und hat berichtet, was sicher war: Zwei spektakuläre Verbrechen sollen plötzlich miteinander in Verbindung stehen. Dieser Wechsel in die Metaperspektive war zu dem Zeitpunkt genau das Richtige. Die Information stimmt heute noch: Damals sollten die Verbrechen plötzlich in Verbindung stehen, und mehr war damals nicht klar. Ein guter Journalist sagt, was Sache ist, und beginnt nicht, Zusammenhänge herbeizuinterpretieren.
Frank: Ein Skript im Kopf würde einem Narrativ folgen wie „Der Journalismus ist tot“. Das ist definitiv nicht der Fall, auch wenn vielleicht schon mal der Eindruck entstehen mag. Wir haben das Buch ja gerade geschrieben, weil wir an guten Journalismus glauben.
Thilo: Oder „Lügenpresse“ wäre ein solches Narrativ, das sicherlich falsch wäre.
Wann hat es sich für Euch gelohnt, das Buch zu schreiben?
Frank: Jetzt schon! Das Buch ist im Gespräch. Auf der Leipziger Buchmesse haben sich insbesondere ausländische deutschsprachige und sogar russische Messebesucher sehr interessiert gezeigt. Bei unserem Verlag gehen Bestellungen von namhaften Medien und Journalisten ein. Wir sind sehr gespannt auf deren Reaktionen.
Thilo: Das Buch musste raus. Es war Zeit. Viele Leute haben uns schon gesagt, dass es bei ihnen einen Perspektivenwechsel bewirkt hat. Wir haben natürlich im Zuge unserer Recherchen nicht nur positive Reaktionen bekommen. Manche Journalisten fühlen sich leider sehr schnell angegriffen. Trotzdem hoffe ich, dass die Branche und insbesondere junge Journalisten unsere Impulse aufgreifen und sich damit kritisch auseinandersetzen. Wenn das Buch einmal Teil der Journalistenausbildung wird, haben wir alles richtig gemacht.