Gestern Abend gab es im Bildblog mal wieder einen Post, der den Glauben an die Sorgfalt der journalistischen Recherche in Deutschland in seinen Grundfesten erschüttern könnte. Wobei man nicht übertreiben sollte – unsere Medienlandschaft ist nach wie vor vielfältig, und wer qualitativ hochwertige, gut recherchierte Druck- und Onlineerzeugnisse sucht, wird nach wie vor schnell fündig.
Trotzdem sollte es uns zu denken geben, was der Blog unter dem Titel „Journalisten – ein Berufsstand meldet sich krank“ berichtet: Ein Redakteur der Welt nimmt es nicht so genau mit der Recherche und übersieht das Kleingedruckte in einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Sie weist den Anteil der Krankmeldungen der in der GKV versicherten Arbeitnehmer in Prozent zum Monatsersten aus. Der Redakteur bezieht die Prozentangabe auf die Soll-Arbeitszeit, von der in dem Zahlenwerk überhaupt nicht die Rede ist. Das ist ihm schon einmal passiert. Das BMG sah sich daraufhin zu einer Richtigstellung in Form einer Pressemitteilung genötigt. Und in diesem Jahr gibt es einen expliziten Hinweis vom BMG, worauf sich die Zahl bezieht.
Sicher, wer unter Zeitdruck arbeitet, sucht sich schnell aus einem Text die Fakten raus, die er oder sie gerade braucht und überfliegt den Rest in der Eile. Das ist keine journalistische Sorgfalt, aber es ist auch menschlich. Erschreckend ist, wie sich die Falschmeldung verbreitet. Der Bloggerszene wird gerne nachgesagt, dass dort einer vom anderen abschreibt, ohne die Fakten und Behauptungen zu überprüfen. Und das lässt sich tatsächlich nicht wegdiskutieren. Dadurch können sich auch Falschmeldungen und haltlose Behauptungen hartnäckig im Netz halten. Der Journalismus dagegen verpflichtet sich zur Prüfung seiner Quellen und zu sorgfältiger Recherche. Das macht Zeitungen und ihre Online-Ableger dafür glaubwürdiger als andere Quellen. Und es ist das Fundament ihres Geschäftsmodells.
Aber was ist passiert? Offenbar schreiben auch Journalisten ab. Nicht irgendwelche Käseblättchen, sondern Platzhirsche wie Spiegel Online berufen sich auf die vermeintlichen Fakten aus besagtem Artikel. Immerhin gibt es beim Spiegel später noch eine Korrektur. Auch FAZ.net, RP online und Bild online zitieren – letztere mag dadurch entschuldigt sein, dass sie so verlagsinterne Synergien heben und nicht doppelt recherchieren wollte. Und schließlich haben wir ihrer Qualität der Recherche den Bildblog ja erst zu verdanken. Journalistische Kumpelei – einer verlässt sich auf den anderen?
Zur Ehrenrettung der Redaktionen ist festzuhalten: Die Nachrichtenagenturen selbst sind es gewesen, die die Falschmeldung verbreitet haben. Jeder Journalist sollte sich darauf verlassen können, dass die Meldungen von dpa, AP, Reuters oder dem evangelischen Pressedienst epd korrekt sind und keiner weiteren Prüfung bedürfen. Sie alle haben diesmal ins Klo gegriffen. Erfreulicher Lichtblick: tagessschau.de ist nicht drauf reingefallen und hat nachgefragt. Und einige Agenturen haben nachgebessert, ohne aber ihre Falschmeldungen zu widerrufen.
Das Ganze sollte nachdenklich stimmen. Ein einmaliger Fehlgriff? Auch im letzten Jahr wurde die Falschmeldung bereits zitiert. Kostendruck? Stimmen die Rahmenbedingungen in den Verlagen noch, um das Mindestmaß an journalistischer Recherche zu ermöglichen? Wird ein Blog zum Korrektiv des Journalismus, der eigentlich selbst Informationsquelle und Korrektiv unserer Gesellschaft und Demokratie sein sollte? Welche Lehren ziehen die Agenturen daraus? Fehler gab es immer, seit des legendären vermeintlichen Ablebens Nikita Chruschtschows, verbreitet durch die dpa. Allzu oft sollten sie aber nicht passieren. Und Journalisten müssen sich auf die Qualität der von den Agenturen gelieferten Meldungen verlassen können.
Hier geht’s zum vollständigen Artikel im Bildblog: http://www.bildblog.de/20577/journalisten-ein-berufsstand-meldet-sich-krank/
Es ist zwar hart, aber das scheint mir der Beginn eines Trends zu sein, auf den wir uns einstellen müssen. Recherche kostet Personal beziehungsweise Zeit und damit Geld. Die Redaktionen werden jedoch „kostenoptimiert“ das heißt immer kleiner (auch bei den Agenturen) und die vorhandenen Redakteure müssen immer mehr Arbeit übernehmen. Und dann passieren eben solche Fehler.
Zugegeben neben Nikita Chrustschow haben die Agenturen / Redaktionen früher noch einige andere Böcke geschossen, doch in der letzten Zeit mehren sich die Anzeichen, dass es immer mehr Fehler werden. Aber hier muss man ehrlich zugeben, wenn Redaktionen zum Teil bis ins Letzte ausgepresst werden, dann ist es irgendwann einmal selbstverständlich, dass Fehler gemacht werden. Und die Verlage drehen immer weiter an der Spirale der „Kostenopitimierung“ und wundern sich, dass „Print“ in der Sinnkrise landet. Voraussetzung für den Erfolg ist nun einmal ein gutes Produkt und das ist im Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt abhängig von der Zahl und Qualität der Redakteure.
Und es soll keiner sagen, mit Print ließe sich kein Pfennig mehr verdienen, zumindest wenn man Tyler Brule im Interview mit der Wirtschaftswoche glauben darf: „Es ist faszinierend, wie attraktiv das gute alte Papier noch immer für Anzeigenkunden ist.“ Und ich persönlich ergänze noch „für den Leser“. Seine Erfolge und seine Entscheidung für Papier sind nachzulesen unter http://www.wiwo.de/unternehmen-maerkte/zeitgeist-verleger-brule-fuenf-euro-zeitung-statt-ipad-435805/